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DETAILS
- Text
- gelaufen
- Datum: 05.02.1907
- Adresse: Madame Jansen, Flat 2, Granville Chambers, 5 Museum Street, London, W.C.
Abschrift
mein lieber Freund,
I am staying here with some friends until the racing commences "très decaré" but in excellent health. I should like to see you very much, but of course it is impossible ~ now when I do return to London. Shall send you a telegram. Best wishes
Volatire
Übersetzung
mein lieber Freund,
ich bleibe mit einigen Freunden hier, bis das Rennen wieder beginnt, "sehr verspätet" aber bei bester Gesundheit. Ich sollte dich sehen wollen, aber natürlich ist das unmöglich, wenn ich jetzt zurück nach London kehre. Ich sollte Dir ein Telegramm schicken. Beste Grüße,
Voltaire
Gedanken zur Karte
Ist der Text dieser Karte nicht wirklich seltsam? Das ist für meine Begriffe eindeutig die mysteriöseste Postkarte in der gesamten Sammlung. Es geht schon mit der Adresse los: Wieso Madame Jansen? Nennt der Absender Dora so, weil sie unter einem anderen Namen ein Zimmer gemietet hat? Oder handelt es sich um eine andere Person, die Dora einfach die schöne Karte überlassen hat? Die Adresse lässt darauf schließen, dass die Empfängerin in einem der vielen Lodging Häuser Londons wohnte. Wohnraum war zu der damaligen Zeit in London ähnlich knapp und teuer wie heutzutage. Deshalb wohnten viele, die zur Arbeitssuche in die Stadt gezogen waren, in sogenannten "Lodging Houses". Diese Häuser oder Wohnungen funktionierten ähnlich wie die Bed & Breakfasts heutzutage: der Besitzer vermietete die einzelnen Zimmer an eine oder mehrere Mieter und bot gewisse Zusatzleistungen an, z.B. ein Frühstück. Im Fall der Madamae Jansen wird es sich aber um eine Vermieterin gehandelt haben, denn es war üblich, dass Frauen in reinen Frauen Lodging Houses lebten, das gebot der Anstand. Es schickte sich einfach nicht, mit einem fremden Mann die Wohnung, geschweige denn den Abort, zu teilen.
Der Inhalt der Karte wirft weitere Fragen auf: Warum diese mysteriöse erste Zeile auf Deutsch? Wollte der Absender hier eine vertraute Anrede verschleiern und für fremde Augen unkenntlich machen? "Freund" statt "Freundin" lässt darauf schließen, dass es sich um einen englischsprachigen Absender gehandelt haben dürfte, der mit der deutschen Sprache nicht sehr vertraut war. Der Absender schreibt, er bleibe jetzt "hier" bis das Rennen /die Rennen weitergehen. Hier ist in dem Fall Southport, wie die Unterzeile mit dem Datum verrät, aber um welches Rennen es sich handelt bleibt unklar. Der Absender verrät uns durch die Verwendung des französischen "très decaré", dass er über ein gewisses Bildungsniveau verfügt. Vielleicht war die das Wort gerade "in", vielleicht macht er sich durch die Verwendung des Wortes auch darüber lustig. Aber es geht ihm gut, denn er schreibt, er sei bei bester Gesundheit.
Und dann wird es richtig mysteriös: Einerseits würde er sie gerne sehen, andererseits schreibt er, das sei ihm natürlich unmöglich, wenn er jetzt nach London zurückkehrt. Ich finde, das klingt so lapidar: "natürlich ist es unmöglich...", als sei es selbstredend ausgeschlossen, sich mit ihr zu treffen. Und darin schwingt so ein "Das verstehst Du doch sicher." mit. War das der Empfängerin der Karte auch so klar und einleuchtend wie ihm? Oder hat sie vielleicht darüber bittere Tränen der Enttäuschung vergossen, weil sie sich mehr von der Liaison erhofft hatte? Für mich klingt das so, als schreibe hier ein Mann an eine Frau, mit der er was hatte, zumindest eine Affäre, doch die Frau ist nicht standesgemäß; vielleicht ist er auch bereits vergeben oder sogar verheiratet.
Er schließt mit den Worten: "Ich sollte Dir ein Telegramm schicken.", wobei ein Telegramm sicher nicht das geeignete Mittel ist, um der Empfängerin längere Botschaften zu übermitteln, zum Beispiel eine Erklärung für diese rätselhafte Karte. Telegramme wurde pro aufgegebenem Buchstaben bezahlt, also eigneten sie sich nur für die Übermittlung äußerst knapper Botschaften wie zum Beispiel einer Adresse oder eines Treffpunkts
Dann die Unterschrift: er nennt sich Voltaire. Warum? Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass hier um jeden preis sowohl der Absender als auch die Empfängerin anonym bleiben sollen, als handele es sich um ein großes Geheimnis, das die beiden miteinander teilten.
Und schließlich das Motiv der Postkarte an sich: zwei Corporal Majors der 1st Life Guards, der Leibwache des britischen Königs also. War der Absender einer von ihnen, oder hat das Motiv mehr einen symbolischen Charakter? Geht es um jemanden, der beschützt? Hat er vielleicht sie vor etwas beschützt, dass er ihr nun ausgerechnet dieses Motiv sendet, um sie daran zu erinnern?
Fragen über Fragen... die ganze Karte ist für mich eine einzige große Frage und bleibt wohl für immer ein ungelöstes Rätsel.
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